ARBEITsZEICHEN

06.05.22

Zeichnen als Weltbegegnung
Praxis und Didaktik

Zeichnung als Mittel der Welterfassung, seit Erfindung der Fotografie in Frage gestellt, erlebt gerade
durch die fortschreitende technische Entwicklung neuen Aufschwung. Digitale Bilderzeugung wird aufgrund
ihrer nahezu nahtlos möglichen Veröffentlichung im Internet aus Datenschutzgründen auch für
die künstlerische Beobachtung immer fragwürdiger. Der mögliche Zugang zu Exkursionsorten ist ein
Grund, gegenwärtig erneut zur Zeichnung zu greifen, aber bei weitem nicht der einzige. Entscheidend
ist womöglich die zeichnend nötige Zeit. Sie ermöglicht nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit
dem Gegenstand – das Begreifen seiner Form –, sondern darüber hinaus konzentriert verbrachte Zeit
an einem Ort und somit Beobachtungen und Gespräche am Rande des eigenen Tuns. Ist dieser
Zusammenhang verdeutlicht, kann Zeichnung zu einem intensiven Mittel der Weltbegegnung werden.

Das Kompaktseminar »Arbeit(s)zeichen«, durchgeführt im Sommersemester 2022 im Fach Kunstpädagogik
an der Bergischen Universität Wuppertal (Fakultät für Design und Kunst), war auf einen
besonderen Gegenwartsaspekt fokussiert. So wie mit dem Mittel der Zeichnung das händische Tun
unterstrichen wurde, galt die Aufmerksamkeit des Seminars der körperlichen Arbeit. Gerahmt durch
Ausführungen zur Arbeitssoziologie, zur Thematik der Arbeit in Kunst und Kunstpädagogik standen im
Zentrum des Seminars zwei Exkursionen zur Industriearbeit, – entsprechend der industriellen Prägung
des Bergischen Landes – im Bereich der Schneidwarenindustrie. Zeichenorte waren die Gesenkschmiede
Hendrichs in Solingen und das Knipex-Werk Wuppertal. Gerade dafür, dass die Exkursion in
ein produzierendes Werk stattfinden konnte, danken wir der Knipex-Werk C. Gustav Putsch KG und
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Hochinteressant war die Erörterung der zeichnerischen Beobachtungen unter kunstpädagogischen
Gesichtspunkten. Die Zeichnungsexkursion wurde als Mittel erkannt, die Selbstgenügsamkeit von
Kunst in Frage zu stellen und auf fächerübergreifende künstlerische Potentiale aufmerksam zu machen.
Deutlich wurde zugleich, dass künstlerische Weltbegegnung eine Auseinandersetzung mit den eigenen
Interessen und Einstellungen impliziert. Von dort wurde das Bildungspotenzial des Themas für den
Kunstunterricht diskutiert und kunstdidaktische Überlegungen zur Anleitung entsprechender Arbeitsprozesse
entwickelt. So wurde deutlich: Die oft übersehene reale Welt der Arbeit ist immer noch und
immer wieder ein für Kunst und Kunstunterricht relevantes Thema.