Prof. Dr. Ulrich Heinen

Gestaltungstechnik* und Kunstgeschichte

Prof. Dr. Ulrich Heinen

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*' Das Fachgebiet "Gestaltungstechnik" umfaßt u.a. die Sachgebiete der Teilstudiengänge "Mediendesign und Designtechnik" sowie "Farbtechnik/ Raumgestaltung/ Oberflächentechnik".

Curriculum Vitae
Vorträge und Tagungen
Publikationen
Institut für angewandte Kunst- und Bildwissenschaften (IAKB)


"Diese Kunst tötet." Von der documenta 15 zum Oktoberpogrom.
Ein Lehrstück in drei Teilen zum globalen Antisemistismus in Deutschland.

(Teil 1/3) Warum ich mir eigentlich sicher bin, daß meine Studentinnen und Studenten die documenta 15 meiden werden
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen.
in meinen Lehrveranstaltungen versuche ich auch zu verdeutlichen, daß viele Bilder und ihre Macher immer schon zu den Treibern von Unmenschlichkeit und Totalitarismen zählten. Oft war und ist gerade dieser Zusammenhang konstitutiv für den Anspruch, 'zeitgemäß' oder 'modern' zu sein oder sich auf 'Herausforderungen der Zukunft' berufen zu wollen. Immer wieder schloß das auch Antijudaismen, Antizionismen und Antisemitismen ein.
Auch wenn eine solche Tendenz vermutlich nicht in der Absicht der meisten Akteurinnen und Akteure der diesjährigen documenta gelegen hat, wurde diese Veranstaltung in den vergangenen Wochen und Tagen doch öffentlich als Spitze dieses Eisbergs erkennbar. Ein Gastbeitrag im Spiegel formuliert zu einem dort ausgestellten Bild: "Judenhass bei der Documenta. Diese Kunst tötet." (Richard C. Schneider: Judenhass bei der Documenta Diese Kunst tötet, in: Der Spiegel 23.06.2022 spiegel.de/politik/judenhass-bei-der-documenta-diese-kunst-toetet-kommentar-a-70d6b0eb-0d7c-4879-a0dd-950720b02686) Der Bundespräsident hat noch vor Bekanntwerden dieses Bildes in seiner deutlich kritischen Eröffnungsrede erklärt, überlegt zu haben, seine Teilnahme an der Eröffnung abzusagen. Der Bundeskanzler fügt hinzu, daß er die documenta wegen der dort erst nach massiver Kritik abgehängten antisemitischen Darstellungen ausdrücklich nicht besuchen werde, und fordert Konsequenzen.

Wer mit den Sachverhalten noch nicht vertraut sein sollte, kann leicht selbst recherchieren, was diese documenta angerichtet hat. Zum Einstieg einige Links zu aktuellen Kommentaren, die auch die wesentlichen Fakten benennen und einordnen:

Ein Auszug aus dem, was als Sachverhalt konstatiert werden muß:

  • Eindeutig antisemitische Stereotype und Feindlichkeit gegen Multikulturalismus in einem großflächigen Gemälde,
  • Verharmlosung des Holocaust und Dämonisierung Israels durch dessen Gleichsetzung mit Nazideutschland und die Infragestellung seines Existenzrechts in anderen Werken,
  • Weitgehend unkommentiertes Vorführen terrorverherrlichender antiisraelischer Propagandafilme ,
  • BDS-Nähe, -Sympathie oder -Verharmlosung auf allen Organisationsebenen (also Verherrlichen einer globalen Bewegung, die den Nazislogan leicht modifiziert fortschreibt, "Wehrt Euch! Kauft nicht beim Juden!" Zur Einordnung von BDS siehe etwa die Antwort der Bundesregierung – Drucksache 19/14941 – Haltung und Maßnahmen der Bundesregierung gegenüber der BDS-Bewegung, in: Deutscher Bundestag Drucksache 19/15652, 19. Wahlperiode 3. Dezember 2019),
  • Systematische Vermeidung der Einladung jüdischer Künstlerinnen und Künstler (bei insgesamt 1.500 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern, die in einem vielstufigen Kaskadensystem der Verantwortungsverschleierung an Kuratorengruppen und deren Subgruppen bestimmt wurden, wohl kaum Ergebnis eines bloßen Zufalls),
  • Fehlende Bereitschaft, umittelbar nach Sichtbarwerden der Antisemitismen Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinschaft einen angemessenen Raum zur Entgegnung zu geben,
  • Unverantwortlichkeit und wochenlang fehlende Einsicht in die Eindeutigkeit und Verwerflichkeit dieser Menschenverachtung auf den meisten Organisationsebenen der documenta,
  • Erheben des Gegenvorwurfs, wer den Antisemitismus im Zusammenhang der documenta anspreche, mache sich seinerseits einer gegen den globalen Süden gerichteten fehlenden Kultursensibilität, einer Fortschreibung des Kolonialismus und fehlender Dialogfähigkeit schuldig.
    (am 29.10.2023 nachgetragen: differenziert überprüft werden diese Aspekte bei Andreas Mertin: Lehren aus der documenta fifteen. Eine Thesenreihe anlässlich der unerwarteten Rückkehr von Kultur-Concierges, in: Tà katoptrizómena 139 [Lehren aus der documenta fifteen], 2022 theomag.de/139/index.htm; Ders.: 'Woran erkennt man, dass das Kunstwerk antisemitisch ist?', Eine Spurensuche nach der documenta fifteen, in: ebd.; Ders.: Wenn der Bock sich als Gärtner ausgibt. Der weiße Sahib entscheidet: indonesisches Banner – keine Kunst, in: ebd.; Ders.: Zur Ethik der Appropriation. Eine Rezension, in: ebd.).

Zumindest wer in meinen Lehrveranstaltungen etwa Bazon Brocks Unterscheidung von Kultur und Zivilisation kennengelernt (ein Nachtrag vom 29.10.2023: hierzu konkret im Rückblick auf die documenta: Bazon Brock: Kürzeste Besucherschule d15. Der Fluch der guten Tat. Kulturalismus erledigt die Kunst, Köln 2022 bazonbrock.de/werke/detail/kuerzeste_besucherschule_d15_von-3999.html?id=3999&sectid=3773#sect) oder Beat Wyss' 'Der Wille zur Kunst' gelesen und durchdacht hat, wird - so meine Hoffnung und auch Gewißheit - sicher schon selbst erkannt haben, daß es bei dem Skandal nicht bloß um ein paar enthumanisierende Bildchen mehr oder weniger geht, über die man hin- und herdiskutieren und die man dann vielleicht verhüllen oder abhängen kann, um letztlich zur Tagesordnung überzugehen und ein heiteres Fest zu feiern, sondern daß in der gesamten Konstellation von Bildern, Filmen, Eingeladenen (und eben nicht Eingeladenen) sowie institutionellen Strukturen und Verflechtungen ein systemischer Zusammenhang zwischen spezifischen Bewegungen und Prinzipien der aktuellen Neubestimmung des Kunstsystems im globalen Rekulturalisierungskontext und Antisemitismen wirksam wird. Aber auch wer Erwin Panofskys humanistische Forderung verinnerlicht hat, Bilder grundsätzlich als Beitrag zu Ideologien ernstzunehmen, wird in der Aufnahme solcher Bilder in den Kanon einer documenta mindestens ein Symptom für einen problematischen Zustand der sie tragenden Systeme - sowohl des Systems documenta wie des aktuellen Kunstsystems insgesamt - begreifen.
Es kann daraus spontan nur einen Schluß geben: Zu so etwas geht man nicht hin ! An so etwas nimmt man nicht teil !
Es darf nicht sein, daß über den Kunstdiskurs global grassierende Antisemitismen salonfähig werden und daß es dafür ein Publikum gibt. Abgesehen davon, daß schon die natürliche Scham dagegen spricht, sich zum Teil eines Events zu machen, das sich in antisemitischen Konstellationen und Ikonographien artikuliert, wird man solche Veranstaltungen auch grundsätzlich gewiß nicht dadurch unterstützen wollen, daß man in deren Erfolgsbilanz mitgezählt wird, in der eben jeder Besucher und jede Besucherin zählt !
Zumal in einem Land mit dieser Geschichte versteht sich das alles eigentlich von selbst. Daher nehme ich an, daß Sie ohnehin schon entschieden haben werden, nicht zur documenta zu fahren.
Um Sie in Ihrem Entschluß zu bestärken, schreibe ich es hier aber doch noch auf - und dies auch, damit niemand später sagen kann, er habe es nicht gewußt !

Daß der Antisemitismus auf der documenta seinerseits - wie vor 90 Jahren - Folge, Symptom und Mittel einer propagierten und vollzogenen Liquidierung des Weltgedankens individueller Bedeutung, Würde und Verantwortung zugunsten der Repräsentation kulturalistischer Machtansprüche ist, benennt treffend Bazon Brock in: Kultur heute - Deutschlandfunk, 21. Juni 2022. Joshua Schneider fordert entsprechend ganz klar eine generelle Umkehr im Diskurs: "Mehr Universalismus wagen!" Joshua Schultheis: documenta: Mehr Universalismus wagen!, in: Jüdische Allgemeine 23. Juni 2022.
Es geht nicht um irgendein Skandälchen, es geht ums Ganze. Besonders fatal ist bei all dem, daß die documenta den Diskurs zur globalen Gerechtigkeit auf dessen Kosten für das Kunstsystem usurpiert und diesen Diskurs dabei nachhaltig mit Antisemitismen kontaminiert hat. Die zentrale Metapher des documenta-Konzepts, die 'Reisscheune' (Lumbung), mag vielleicht gut gemeint gewesen sein, sie unterläuft in ihrer mangelhaften Recherche aber schon als solche die Komplexität des Themas [Jan von Brevern: Die Rückkehr der Scheune, in: Merkur 23. September 2021.. Im Blick auf diese unpassende Metapher wie auf den nun damit verbundenen Skandal verdichtet sich die Einsicht, daß das aktuelle Kunstsystem und seine Akteurinnen und Akteure dem nicht gewachsen sind, sich Zuständigkeit für den Globalitätsdiskurs zuzuschreiben. Leicht erkennt man auch, daß es bei der eher vermessenen Kompetenzzuschreibung eben nicht um Arbeit an globaler Gerechtigkeit, sondern paradoxerweise dann doch nur um einen Versuch ging, dem Kunstsystem über seine aktuelle Marginalität hinwegzuhelfen. Dieser Versuch ist vollständig gescheitert. Diejenigen, denen es um globale Gerechtigkeit, wie diejenigen, denen es um Kunst geht, und erst recht die, die dies verbinden möchten, hinterläßt die documenta noch fassungsloser.
Die große Kunst kann in beiden Feldern und ihrer Verbindung künftig nur darin bestehen, der in der documenta zelebrierten Liquidierung des Prinzips individueller Bedeutung, Würde und Verantwortung das einer personalen (Mit)verantwortung im und am globalen Zusammenhang entgegenzustellen. Es ist daher sehr zu hoffen, daß sich einige Akteurinnen und Akteure, die mit ihrer Arbeit auch auf der documenta sichtlich solche Wege gehen wollten, aus der systemischen Verstrickung befreien können und künftig in einem der Problemkomplexität angemesseneren Kontext wirksam und sichtbar werden.
Skeptisch macht in dieser Hinsicht allerdings, daß bisher offensichtlich noch keine Künstlerin und kein Künstler die Konsequenz aus dem Skandal gezogen hat, sich von der documenta distanziert hat oder von der documenta-Teilnahme zurückgetreten ist. Verhindert dies das kulturalistische Konzept der documenta, in der jede Akteurin und jeder Akteur ihre und seine personale Verantwortung an die Gruppe abgegeben hat?

Zu all dem gibt es bei Ihnen sicherlich einigen Gesprächsbedarf. Sprechen Sie miteinander darüber, und sprechen Sie auch mich gerne darauf an !
Anstelle der documenta empfehle ich, die gewonnene Zeit für einen Besuch etwa des Felix-Nussbaum-Hauses in Osnabrück oder des Jüdischen Museums in Berlin zu nutzen.

Ihnen allen wünsche ich, daß Sie der Verstickung des Kunstsystems mit klarem Verstand entkommen können und Kunstpädagogik als eine Chance dazu sehen, diese Verantwortlichkeit auch Ihren künftigen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln.

Köln, 23. Juni 2022, aktualisiert am 25. Juni, 27. Juni und 4. Juli 2022
Ulrich Heinen


(Teil 2/3) Jetzt ist es zu spät.
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Wer sich einen Überblick über den Stand der Debatte verschaffen will, findet hier überwiegend sehr lesenwerte Beiträge: Politik & Kultur. Zeitung des deutschen Kulturrates.
In einer wohlbegründeten Erklärung hat am 10. September 2022 der wissenschaftliche Beirat, den die Gesellschafter der documenta gGmbH berufen haben, um die als antisemitisch diskutierten Ausstellungsstücke der documenta zu analysieren, im Konsens und seinem Auftrag entsprechend hinsichtlich eines Ausstellungsgegenstandes der documenta die Notwendigkeit sofortigen Handelns wegen Volksverhetzung erkannt und benannt, die auch durch Kunstfreiheit nicht gedeckt ist. Gegenstand der Beanstandung ist eine Kompilation, die Propagandafilme mit teils terroristischem Entstehungskontext als objektive Tatsachenberichte affimiert und historisch entkontextualisiert präsentiert. Zumal durch die zwischengeschalteten Kommentierungen legitimiert diese Zusammenstellung nach dem Urteil des Beirats Haß auf Israel sowie die Verherrlichung von Terrorismus und schlägt an vielen Stellen in offenen Antisemitismus um (scientific advisory panel of documenta fifteen: Press release, in: press releases of the documenta und Museum Fridericianum gGmbH, 10. September 2022).
Auf diese Erklärung des wissenschaftlichen Beirats reagierte zunächst die künstlerische Leitung der documenta und publizierte einen Tag vor deren Veröffentlichung ein vom 18. Juli 2022 datierendes Staccato aus dem Repertoire der Opferkonkurrenz sowie des Gegenvorwurfs, wer den Antisemitismus der documenta als solchen so benenne, sei seinerseits für Diskriminierung und Rassismus verantwortlich (Gudskul u.a.: Censorship Must Be Refused: Letter from lumbung community, in: We refuse, 9. September 2022).
Am nächsten Tag wiederholten die künstlerische Leitung sowie zahlreiche Mitzeichnende dieses Muster und ergänzten es um ein übles Narrativ, das gewöhnlich Populisten in den politischen Raum einbringen - das Heraufbeschwören kollektiven Zorns: "Wir sind wütend, (...) wir sind vereint." und: "Wir sind wütend, wir sind erschöpft, aber unser Kampf wird weitergehen." Wie nicht anders zu erwarten, werden dabei die Besucherinnen und Besucher der documenta offen als Kombattanten von "transnationalen antikolonialen Kämpfen" ins Feld geführt, als "ein Publikum, das so engagiert ist wie wir, das (...) so wie wir in seinem Umfeld kämpft, das so wie wir um Solidarität bittet, und das so wie wir bereit ist, sich zu solidarisieren." Wer aber dieses Narrativ einschließlich der ihm systemisch eigenen und offen sichtbar gewordenen Antisemitismen kritisiert, sieht sich mit neuer Heftigkeit als feindselig und rassistisch beschimpft, diskreditiert und gebrandmarkt ("rassistische Tendenz in einer niederträchtigen [pernicious] Zensurstruktur“ – „teuflischer [vicious] Versuch“ – „feindliches [hostile] Umfeld“ – „Mechanismus der Weitergabe des Balls von Cyberbullies und rassistischen Bloggern an die Mainstream-Medien, an rassistische Angreifer vor Ort, an Politiker und sogar an Wissenschaftler“ – Ignorieren von Geschichte und Fakten „im Dienste rassistischer und hegemonialer Agenden“ – „teuflische [vicious] Manipulation“). Im Kontext der Zornes- und Kampfrhetorik des gesamten Textes liest sich dies (einschließlich der tendentiell antisemitischen Codeworte 'pernicious', 'vicious' etc.) durchaus auch als Einschüchterung und Bedrohung gegen die Kritiker. In der Kampf- und Solidaritätslogik des lumbung-Konzepts sieht sich so jede Besucherin und jeder Besucher durch die künstlerische Leitung der documenta letztlich darin angeführt, diese mit ihrem oder seinem Besuch unterstützt zu haben und künftig zu unterstützen (Abdul Halik Azeez u.a.: We are angry, we are sad, we are tired, we are united, in: We refuse, 10. September 2022, Übers. U.H.).
Anstatt sich schützend vor die von der künstlerischen Leitung aus der documenta heraus diffamierten und durchaus auch bedrohten Kritiker zu stellen, bekräftigt die Findungskommission wenige Tage später diese Diskreditierung und diffamiert ihrerseits die Kritik der nun auch unverstellt sichtbar gewordenen Antisemitismen der documenta als "Gift" (wieder einantisemitisches Schlüsselwort) einer "gegenwärtigen Instrumentalisierung" des Antisemitismus, "die dazu dient, Kritik am israelischen Staat und seiner Besetzung palästinensischer Gebiete abzulenken." Anschließend finden sich die Besucherinnen und Besucher auch hier in den Dienst einer Legitimierung der Auswahl der künstlerischen Leitung sowie der durch diese geförderten und zum Kern der Einforderung von Solidarität fokussierten Antisemitismen genommen: "Wir stehen weiterhin hinter unserer Wahl von ruangrupa als künstlerische Leitung der documenta 15, wie wir es während des gesamten Prozesses ihrer Entwicklung und Realisierung getan haben. Wir freuen uns über die Hunderttausenden von Besuchern, die die Ausstellung gesehen und besucht haben und von ihr bereichert wurden. Wir glauben, daß auch ihre Stimme gehört werden sollte. Wir applaudieren den Künstlern, die angesichts der Angriffe auf ihre Integrität [d.i.: angesichts des Benennens von Antisemitismen als Antisemitismen, U.H.] standhaft geblieben sind und den Prinzipien von Lumbung [d.i.: der kollektiven Zwangssolidarisierung sowie dem damit verbundenen Ausschalten persönlicher Verantwortlichkeit, U.H.] treu geblieben sind. Wir fordern den Aufsichtsrat auf, dafür zu sorgen, dass die documenta fünfzehn bis zum geplanten Ende der Ausstellung in ihrer Gesamtheit [d.h.: sogar einschließlich von Austellungsobjekten, in denen der wissenschaftliche Beirat Volksverhetzung sieht, U.H.] geöffnet bleiben kann." (Finding Committee: The statement, in: press releases of the documenta und Museum Fridericianum gGmbH, 15. September 2022, Übers. U.H.).
Alles war bekannt. Alles war erwartbar.
Wer die documenta besucht oder zu deren Besuch gedrängt oder auch nur geraten hat, darf sich nicht beschweren, nun zu den Unterstützerinnen oder Unterstützern der dort gepflegten systemischen und offenen Antisemitismen zu zählen. Wer am Party-Versprechen der documenta partizipiert hat, war vorab breit informiert, daß sie oder er damit auch an dessen Kollektivismus-Logik der Verantwortungslosigkeit sowie der darin schon früh vorgesehenen antisemitischen Zwangssolidarisierung partizipiert (die hellsichtigste und tiefgründigste Analyse gibt Bazon Brock: Kürzeste Besucherschule d15. Der Fluch der guten Tat. Kulturalismus erledigt die Kunst, Köln 2022 bazonbrock.de/werke/detail/kuerzeste_besucherschule_d15_von-3999.html?id=3999&sectid=3773#sect; siehe auch den Rückblick bei: Andreas Mertin: Lehren aus der documenta fifteen. Eine Thesenreihe anlässlich der unerwarteten Rückkehr von Kultur-Concierges, in: Tà katoptrizómena 139 [Lehren aus der documenta fifteen], 2022 theomag.de/139/index.htm; Ders.: 'Woran erkennt man, dass das Kunstwerk antisemitisch ist?', Eine Spurensuche nach der documenta fifteen, in: ebd.; Ders.: Wenn der Bock sich als Gärtner ausgibt. Der weiße Sahib entscheidet: indonesisches Banner – keine Kunst, in: ebd.; Ders.: Zur Ethik der Appropriation. Eine Rezension, in: ebd.). Niemand, die oder der dabei war, kann jetzt behaupten, sie oder er hätte sich doch bloß vor Ort ein eigenes Urteil bilden wollen und habe sich selbstverständlich nicht für die Kulturfornt des internationalen Antisemitismus vereinnahmen lassen. Wer sich wider besseren Wissens durch ihren oder seinen Besuch der documenta beteiligt hat, ist und bleibt durch die künstlerische Leitung mitgezählt als Teil einer Kampfformation, deren Zorn nun gegen Kritiker von Antisemitismen dauerhaft in Stellung gebracht ist.
Exemplarisch gehört haben die Stimmen der Vielen, die die documenta besucht haben, Meron Mendel und Julia Alfandari. Das Ergebnis war bestürzend: Das Kalkül des systemischen Antisemitismus ist aufgegangen: Wenn das öffentliche Tabu wie bei dieser documenta durch einzelne antisemitische Präsentationen erst einmal öffentlich verletzt ist, fällt bei den Vielen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kunstsystems auch das Tabu, latent gepflegte persönliche Antisemitismen in großem Umfang und ohne jede Scham und Rücksicht aus der Mitte des deutschen Kulturpublikums heraus offen auszusprechen (Sandra Kegel: Alles ein Plan des Mossad! Ein Gespräch mit Julia Alfandari und Meron Mendel, in: FAZ, 31.8.2022). Der systemische Antisemitismus hat sein Ziel sichtlich erreicht: Nachdem künstlerische Leitung und Findungskommission der documenta die Schleusen in den öffentlichen Kunstdiskurs geöffnet haben, gilt Antisemitismus bei Vielen im Kulturbereich und im Kulturpublikum nun sichtlich auch offen diskursfähig. Diese Vielen können und werden dabei gewiß auch gar nichts mehr dagegen einzuwenden haben, nun in der zornigen Kampfformation der künstlerischen Leitung gegen Kritiker der sichtbar gewordenen Antisemitismen ins Feld geführt zu werden. Alle anderen, die durch ihren Besuch das systemisch antisemitische Konzept der documenta unterstützt haben, müssen sich aber ebenfalls zurechnen lassen, nun zu dieser Formation gezählt zu werden. Aber auch wo ein Besuch der documenta – wie oft zu hören war – etwa an Universitäten und Schulen nicht frei von sozialem Druck erfolgt ist, wird man den Vorwurf nicht mehr loswerden, die eigene Widerstandskraft und -fähigkeit überschätzt und sich in einem markanten historischen Augenblick an der Unterstützung von Antisemitismen persönlich beteiligt zu haben.
In die Solidarisierung der zornigen Kampfformation der künstlerischen Leitung finden sich auch mehr als 25.000 "Schulkinder" (schoolchildren) mitgezählt und eingereiht (Head of Press: documenta fifteen at the halfway point with very good visitor numbers – more schoolchildren and season ticket holders, fewer group bookings, in: press releases of the documenta und Museum Fridericianum gGmbH, 8. August 2022). Die Presseerklärung, die diese Zahl bekanntgibt, spricht dabei noch von "gegenseitigem Lernen und Verständnis“ (mutual learning and understanding). Nimmt man den nun gänzlich unverstellt sichtbar gewordenen Wechsel der künstlerischen Leitung von dieser scheinbar friedlichen Diktion in die Rhetorik des zornigen Kampfes beim Wort, zeigt sich, dass die künstlerische Leitung der documenta mit ihrer Solidarisierungsvereinnahmung aller Besucherinnen und Besucher auch diese Schulkinder, die Veranstaltungen wie dieser erfahrungsgemäß oft eher unwissend und unter institutionellem oder sozialem Druck zugeführt werden, nicht als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in symmetrischen Dialogen anerkannt hat, sondern ebenso wie alle anderen Besucherinnen und Besucher letztlich als Solidaritätsträger ihres zornigen Kampfes vereinnahmt hat und nun ins Feld zu führen beansprucht.
Zumal die künstlerische Leitung ankündigt, ihre Aktivitäten weiter fortzusetzen, werden globale Antisemitismen, die nun auch im Kultursystem nicht mehr nur verdeckt vorkommen, sondern offen hoffähig gemacht sind, in den kommenden Jahren erwartbarerweise mehr und mehr Raum beanspruchen. Wendet man die Metapher des „Giftes“, die von der Findungskommission – gewiß nicht unbewußt als klassische Metapher aus dem Repertoire des Antisemitismus – genutzt wird, um Kritiker des Antisemitismus und insbesondere den wissenschaftlichen Beirat zu diskreditieren, zum Verständnis dieses Kalküls in die Gegenrichtung, kann dies recht treffend bezeichnen, wie die künstlerische Leitung auch Schulkinder als Teil der Besucherinnen- und Besucherschaft in die Solidarisierung für ihren zornigen Kampf einbezieht: Das verabreichte Gift wird wirken.
An manchen Stellen haben Personen und Institutionen des hiesigen Kultursystems klar Stellung bezogen (exemplparisch etwa: Kulturrat: documenta fifteen. Sturheit, Ignoranz und Abwehr, in: Pressemitteilungen, 14. September 2022). Für alle anderen aber bleibt besonders beschämend, daß jüdische Organisationen und Personen hierzulande zunächst, hauptsächlich und viel zu lange dabei alleine gelassen wurden, und es ihnen zugemutet wurde, selbst Einspruch gegen offene und systemische Antisemitismen erheben zu müssen. Während an vielen anderen Stellen zum Besuch der documenta ermuntert wurde und man sich an ihr zahlreich beteiligte, wurde die Abwehr der Antisemitismen der documenta weitgehend so behandelt, als sei sie eine Angelegenheit der Aushandlung zwischen unterschiedlichen Interessengruppen, bei denen sich jüdische Organisationen und Personen halt selbst um ihre Interessen kümmern sollten, während sich alle anderen in der Rolle von Zuschauern eines Wettbewerbs um Pro- und Contra-Argumente zu Antisemitismen gefallen dürften. Die Zurückweisung von Antisemitismen ist keine Sache der Aushandlung, sondern eine aktive Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
Beschämend war in diesem Zusammenhang auch, daß Viele eine Zurückweisung der Antisemitismen der documenta nur in einem Atemzug mit anderen Konliktfeldern und menschengruppenfeindlichen Einstellungen (z.B. Dekolonialisierung, Rassismus, Migration, Diskriminierung, Intersektionalität) benennen wollten und dadurch relativierten.
Ausgesprochen werden muss allerdings auch, daß das von der documenta gepflegte Diktum von den Stimmen des globalen Südens, die in der documenta zur Sprache kämen, auch (aber keinesfalls nur) für die dort sichtbar gewordenen Antisemitismen irreführend ist. Was dazu aus dem globalen Süden vorgetragen wird, ist in den Argumentationsfiguren und -strategien und bis in die Details der Ikonographie ein spätes Echo des modernen Antisemitismus, der im 19. Jahrhundert in Europa konstruiert und der im deutschen Nazionalsozialismus dann in globaler Vernichtungsabsicht als Völkermord ausgeführt und ideologisch in alle Welt getragen wurde. Seine antisemitischen Ikonographien und Ideologeme übertrug der Nationalsozialismus auch an verbündete Bewegungen, die sich damals gegen die Kolonialisierung durch andere europäische Staaten wandten und hierzu mit dem Nazionalsozialismus verbündeten. Insbesondere wo dort bereits antijudaische Denkfiguren angelegt waren, konnten die Ikonographien und Ideologien des nationalsozialistischen Antisemitismus leicht aufgegriffen und amalgamiert werden und leben oftmals unkritisiert und ohne Bewußtsein für ihre historische und systemische Genese bis heute fort Knapp angesprochen ist dieser Transfer etwa bei Richard C. Schneider: Alleingelassen. Antisemitische Tendenzen des 'Globalen Südens' und des Westens finden auf der documenta zusammen, in: Politik & Kultur. Zeitung des deutschen Kulturrates, 30. August 2022; zur Präsenz des Nationalsozialismus in Indonesien in den 1930er und 1940er Jahren sowie zur späteren Orientierung des Aufbaus politisch-religiöser Bewegungen in Indonesien am Nationalsozialismus vgl.auch Jeffrey Hadler: Translations of antisemitism. Jews, the Chinese, and violence in colonial and post-colonial Indonesia, in: Indonesia and the Malay World 32.94, 2004, S. 291-313.
In der sichtbar gewordenen Fratze des globalen Antisemitismus blickt man bei dieser documenta aus Europa und Deutschland heraus also letztlich in die Fratze der hiesigen Geschichte. Wie mit den Lumpen, die man von hier aus in alle Welt entsorgt zu haben glaubte, und die 'The Nest' nun mit der Installation „Return to Sender – Delivery Details“ an zentraler Stelle der documenta symbolisch zurücksendet, werfen Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Teilen der Welt bei dieser documenta mit den Ikonographien und Medienstrategien der globalen Antisemitismen den hiesigen Betrachterinnen und Betrachtern nolens volens letztlich die Relikte der alten hiesigen Antisemitismus-Produktion vor die Füße, die man hier seit Jahrzehnten in andere Teile der Welt entsorgt zu haben glaubte. Der Appell, sich selbst um den eigenen Müll zu kümmern, gilt daher auch hier - und das kollektive Versagen ist dasselbe.
Die Zusammenhänge sind zumal in den Ikonographien phänomenal offensichtlich, auch wenn ihre Geschichte wissenschaftlich noch nicht umfassend erschlossen ist. Eine der Folgen aus dem nun Erkannten müßte daher im Sinne einer Bereinigung der im Re-Import erfahrenen hiesigen ideologischen Müllexporte sein, daß die vielfältigen globalen Verbindungen zwischen dem historischen Nationalsozialismus und verschiedenen historisch gewachsenen Antikolonialismen in ihrer gesamten Komplexität und ihrer globalen Perspektive historisch differenziert aufgearbeitet werden. Einen differenzierten Einstieg hierzu bietet etwa Hans Goldenbaum: Nationalsozialismus als Antikolonialismus. Die deutsche Rundfunkpropaganda für die arabische Welt, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64.3, 2016, S. 449-490; (Hans Goldenbaum: Das nationalsozialistische Deutschland und die arabische Welt [Rezension], in: sehepunkte 17.2, 2017 [15.02.2017]), doch unendlich viel ist hier noch zu tun. Von diesem Anliegen darf auch die Angst davor niemanden abschrecken, daß dabei sichtbar werden könnte, daß und wie die Antisemitismen in dieser documenta die historische Nähe und Kontinuität spezifischer Aspekte des historischen Antikolonialismus zu spezifischen Aspekten des Nationalsozialismus fortschreiben. Auch den berechtigten Anliegen der verschiedenen Antikolonialismen wird eine solche Revision mehr Klarheit in eigener Sache und dann gewiß auch mehr ungebrochene Zustimmung verschaffen. Wer aber an Veranstaltungen, die offene oder systemische Antisemitismen dulden oder sogar fördern, teilnimmt, wird dann klarer erkennen können, daß sie oder er nur das Geschäft eines kulturalistischen Nationalsozialismus betrieben hat, der nicht etwa historisch abgeschlossen ist, sondern sich globalisiert hat, in dieses Land nun zurücktransportiert wird und durch jede Teilnahme an mit ihm in Verbindung stehenden Aktivitäten neu unterstützt wurde und wird.

Köln, 18. September 2022 Ulrich Heinen


(Teil 3/3) Die Folgen sind real
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Kunstlehrerinnen und -lehrer haben der documenta 15 ihre Schülerinnen und Schüler so zahlreich zugeführt wie noch keiner anderen documenta zuvor. Mit der Aufforderung, "die documenta fifteen als Anlass zu lernen" zu begreifen, hatten einige Landesvorstände des BDK e.V. - Fachverband für Kunstpädagogik trotz der bereits damals öffentlich bekannten Fakten und kritischen Analysen ausdrücklich dazu motiviert, ihre Schülerinnen und Schüler zum Besuch und damit zur aktiven Unterstützung dieser sichtlich antisemitischen Veranstaltung zu nötigen (Die documenta fifteen als Anlass zu lernen. Erklärung der Vorstände der BDK Landesverbände Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen zur Debatte um die documenta fifteen, 8. August 2022). Sichtlich gelingt es den Verfasserinnen dieses Pamphlets dort nicht, sich vom Antisemitismus der documenta als Solchem zu distanzieren, ohne diesen dem Narrativ der documenta-Verantwortlichen folgend durch Whataboutism zu framen, ganz andere Vorfälle dagegenzuhalten, die mit der Kritik am Antisemitismus der documenta 15 gar nichts zu tun haben, und ansonsten im breiten Strom einer als "diskriminierungskritische Kunstpädagogik" gelabelten Ideologie zu versenken.
Auch viele Kunststudentinnen und -studenten haben mit ihrem Besuch zur Relevanzbehauptung und Nachwirkung der documenta 15 und des von ihr verbreiteten Antisemitismus beigetragen. Sei es aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, sei es sogar wider besseren Wissens: Obwohl alle Fakten auf dem Tisch lagen, haben auch sie sich damit einer in der documenta konstituierten antisemitischen Kampfformation eines Clusters globaler Antisemitismen, Antizionismen und Antijudaismen zuordnen lassen, die nicht nur ikonographisch und thematisch, sondern auch historisch im deutschen Nationalsozialismus wurzeln (s.u. im Text sowie mein Text vom 18. September 2022).
Seit dem Massenmord von Hamas und islamischem Dschihad vom 7., 8. und 9. Oktober 2023 an über 1.100 Jüdinnen und Juden und anderen Einwohnerinnen, Einwohnern und Gästen Israels (nach dem Tag, an dem das Orden begann, als Simchat-Tora-Massaker bezeichnet) kann jetzt jede und jeder, die oder der bei der documenta 15 mitgespielt hat, auch ganz unmittelbar wahrnehmen, in welche Formation sie oder er sich da freiwillig hat einreihen lassen. Der als Verstetigung der documenta 15 angelegte Instagram-Account 'realdocumenta' präsentiert zahlreiche Solidaritätsadressen mit denen, die dieses Morden mit begeistertem Jubel anfeuern instagram.com/realdocumenta/?img_index=1 (Ergänzung vom 19.10.2023: seit dem 10. Oktober, als diese Zeilen verfaßt wurden, hat sich dies in Umfang und Deutlichkeit noch gravierend intensiviert). Nicht die geringste Spur von Mitleid findet sich dort etwa für die über 260 jungen Besucherinnen und Besuchern eines Festivals, die in der israelischen Negev-Wüste gehetzt, gequält und ermordet wurden, und deren Leichen man dann vielfach auch noch geschändet und zur Schau gestellt hat, kein Mitleid auch mit den noch ungezählten anderen, die alleine dort an diesem Tag vergewaltigt und in die Gefangeschaft verschleppt wurden.
Zynisch vermengt und getarnt wird die Häme stattdessen mit Posts zu Antifaschismus, Antirassismus, Dekolonialisierung und Intersektionalität. Nicht aufgeklärt bleibt dabei etwa, daß die ideologisierende Verallgemeinerung unterschiedlichster historischer Entwicklungen unter Schlagworten wie 'Dekolonialisierung' und 'Postkolonialismus' übersieht, daß die sich so bezeichnenden Ideologien historisch und ideologisch fatalerweise ihrererseits unter anderem auch nationalsozialistische Wurzeln haben (ausgehend vom historischen Bündnis des nationalsozialistischen Deutschland mit gegen Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Belgien gerichteteten antikolonialistischen Bewegungen im zweiten Weltkrieg; in der diffamierenden Reduktion der historischen europäischen Tradition von Humanismus und Aufklärung auf ihre Parallele und Verflechtung mit dem damaligen europäischen Kolonialismus; in der Fortsetzung der nationalsozialistischen Ideologie von 'Blut und Boden' im gelegentlichen Insistieren auf 'Rootedness' als Legitimation ethnizistischer und kulturalistischer Ansprüche; in der Diffamierung von Holocaust-Erinnerung als deutscher Provinzialismus etc.), sehr unterschiedliche Phänomene von Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Menschenfeindlichkeit und Menschheitsverbrechen in pauschalen Generalisierungen verallgemeinern und dadurch deren je spezifische Abgründe unsichtbar machen (etwa im undifferenzierten Subsumieren der gleichermaßen furchtbaren, aber sehr unterschiedlich begründeten und ausgeführten pseudowissenschaftlichen Rassismen - etwa dem auf Züchtung eines 'Übermenschen' gerichteten nationalsozialistischen Rassismus, der sich dazu vor allem auf die Unterscheidung zu sowie Eliminierung von jahrhundertelang in Deutschland Beheimateten sowie europäischen Nachbarn richtete, und dem in der Versklavung von Menschen aus weit entfernten Weltgegegenden entwickelten Rassismusbegriff des Kolonialkapitalismus).
Nicht aufgeklärt bleibt, daß die Apologeten der sog. 'Dekolonialisierung' von Alberto Memmi über Frantz Fanon (aus Jean Paul Sartres Vorwort zu dessen 'Die Verdammten dieser Erde': „Einen Europäer erschlagen heißt zwei Fliegen auf einmal treffen ... Was übrigbleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch.“) bis Achille Mbembe (Verherrlichung von Terror als „Vision von Freiheit“ und von Selbstmordattentätern als „Mittler der Erlösung“ und „Arbeiter im Zeichen der Zukunft“, die sich gegen den „Trennungswahn“ einer [vermeintlichen] "kolonialen Apartheid" auflehnen) in ihrem historisch und systematisch innersten Kern sinnlose und brutalste Gewalt als notwendig zur dekolonialisierender Befreiung fordern und feiern, die sich ohne jeden taktischen und strategischen Zweck gerade gegen unschuldige Zivilisten richten soll (ein knapper aktueller Hinweis etwa hier: Jan Küveler: Warum Künstler und Intellektuelle den Terror bejubeln, in: Welt, 14. Oktober 2023 welt.de/kultur/plus247916184/Postkolonialismus-Die-Theorie-die-den-Terror-rechtfertigt.html; eine exemplarisch etwas tiefergehende Analyse hier: Alan Posener: Mit Carl Schmitt und Co. gegen die „Spätmoderne“. Achille Mbembe, in: starke-meinungen.de, 13. Juli 2020 starke-meinungen.de/blog/2020/07/13/mit-carl-schmitt-und-co-gegen-die-spaetmoderne-achille-mbembe).
Unaufgeklärt bleibt dort auch der systemische Zusammenhang, in dem Antisemitismen, Antijudaismen und Antiisraelismus auch in das Gewand der Weltläufigkeit, Diversitätsförderung und eines modernen Lifestyles eingekleidet daherkommen können - wie etwa seit 2021 in der "Initiative Weltoffenheit", die zum Entsetzen jüdischer Menschen in Deutschland ausgerechnet von der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (die Grünen), jährlich mit etwa einer Milliarde Euro aus den Mitteln der Kulturförderung unterhalten wird (Thomas Wessel: Claudia Roth. Grünes Licht für Judenhass, in: Ruhrbarone, 22. Mai 2023 ruhrbarone.de/claudia-roth-das-gruene-licht-fuer-judenhass/220627). Schon seit dem späten 19. Jahrhundert - und hierzulande nun besonders in urbanen Zentren wie Berlin, Hamburg, Köln und München - sind Antiisraelismus und Antijudaismen zum kulturellen Code einer heiteren Subkultur geworden sind (aufgedeckt etwa schon bei Thomas Wessel: „Initiative Weltoffenheit“: Hat das was mit Antisemitismus zu tun?, in: Ruhbarone, 14. Februar 2021 ruhrbarone.de/initiative-weltoffenheit-hat-das-was-mit-antisemitismus-zu-tun/196114; für eine fundamentale Kritik im gesamten Komplex siehe die treffend eingeleitete, umfangreiche Bibliographie bei Ingo Elbe: Postkolonialismus und Antisemitismus. Bibliographie und Einleitung zur Kritik postkolonialer und postmodern-antirassistischer Thematisierungen von Antisemitismus, Holocaust, Judentum und Zionismus. Working-Paper #006 des Center for Antisemitism and Racism Studies, Aachen 2022 katho-nrw.de/fileadmin/media/foschung_transfer/forschungsinstitute/CARS/CARS_WorkingPaper_2022_006_Elbe.pdf; ständig aktualisierte Version hier: rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/bibliographie.pdf).
Während sich die meisten antiisraelischen und antijudaischen Posts bei 'realdocumenta' noch mit der verantwortungslosen Anonymität des documenta-Kollektivismus tarnen, haben sich Reza Afisina und Iswanto Hartono, Mitglieder des documenta-Kuratoren-Kollektivs Ruangrupa, dort zwischenzeitlich auch persönlich ausdrücklich zu dem an vielen Orten hierzulande demonstrierten menschenverachtenden Jubel über den antiisraelischen und antijudaischen Massenmord der vergangenen Tage bekannt und den entsprechenden Beitrag mit ihrem Like versehen (vgl. Nils Kottmann: Documenta-Kuratoren gefällt Jubel über Hamas-Terror, in: Jüdische Allgemeine, 8.10.2023 juedische-allgemeine.de/politik/documenta-15-kuratoren-gefaellt-jubel-ueber-hamas-terror). Erst als dies öffentlich kritisiert wurde, hat sich der documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann im Namen der documenta und der Museum Fridericianum gGmbH mit ein paar launigen Worten hiervon distanziert und lapidar erklärt, „dass die Likes inzwischen zurückgenommen wurden und die Betroffenen sie als Fehler anerkennen“ (Nils Kottmann: Like für Terror-Jubel: Documenta distanziert sich von ruangrupa, in: Jüdische Allgemeine 9.10.2023, juedische-allgemeine.de/kultur/like-fuer-terror-jubel-documenta-distanziert-sich-von-ruangrupa). Reza Afisina und Iswanto Hartono selbst haben zu ihrer Unterstützung des menschenfeindlichen Jubels über den jüngsten Massenmord an Jüdinnen und Juden in gespielter Ahnungslosigkeit offenbar sogar nur verlautbaren lassen, dieser sei ihnen nur versehentlich unterlaufen (Matthias Lohr: documenta-Chef: Likes für Pro-Palästina-Video „unerträglich“ – Runagrupa-Duo äußert sich, in: Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 11. Oktober 2023 hna.de/kassel/documenta-chef-kritisiert-ruangrupa-video-like-palaestina-92570720.html). Eine Distanzierung in der Sache gibt es von ihnen nicht. Weitere zynische Posts aus dem Herzen der globalen Antisemitismen der documenta 15 finden sich auch an zahlreichen anderen Stellen des Webs (dokumentiert etwa hier (linkl: https://twitter.com/th_so2/status/1712203327830659262); die Originalquellen waren aktuell leider nicht mehr aufzufinden).
[Nachtrag vom 13. November 2023: Auch in der Vorbereitung der documenta 16 wurde deutlich, daß sich viele Akteurinnen und Aktreue im globalen Kunstsystem immer häufiger nicht klar gegen Vorfeldorganisationen der Hamas abgrenzen lassen und abgrenzen wollen. So wurde am 9. November 2023 publik, daß auch Ranjit Hoskoté, ein Mitglied der mit der Auswahl der kuratorischen Leitung der documenta 16 betrauten Findungskommission, 2019 eine Petition des BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) unterzeichnet hat. Dort heißt es, der "Zionismus ist eine rassistische Ideologie, die einen siedlerkolonialistischen Apartheid-Staat fordert, in dem Nichtjuden ungleiche Rechte haben", der auf einer "ethnischen Säuberung" beruhe. Die Unterzeichner rufen dazu auf, sich mit dem Kampf der Palästinenser und diese als Vorposten eines gemeinsamen Kampfes anzuerkennen (BDS India: Statement against consulate general of Israel. Mumbai’s event on Hindutva and Zionism, 26. August 2019 indianculturalforum.in/2019/08/26/statement-against-consulate-general-of-israel-mumbais-event-on-hindutva-and-zionism; Übers. U.H.). Selbst Kulturstaatsministerin Claudia Roth - die sich noch 2019 einer Ablehnung eines fraktionsübergreifenden Antrags angeschlossen hatte, wonach Projekte nicht mehr gefördert werden sollten, die die antisemitische BDS-Bewegung unterstützen - erkannte, die von Hoskoté unterzeichnete Erklärung sei "ganz klar antisemitisch und strotzt vor israelfeindlichen Verschwörungstheorien". Ranjit Hoskoté erläuterte darauf, seine Unterschrift unter dieser Erklärung sei nicht antisemitisch intendiert gewesen (Antisemitismus. Nicht schon wieder, Documenta, in: Süddeutsche Zeitung 9. November 2023 faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/documenta-ruecktritt-von-bracha-lichtenberg-ettinger-19308425.html; Documenta Kassel. Antisemitismus-Vorwurf gegen Findungskommissions-Mitglied, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2023 faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/documenta-antisemitismus-vorwurf-gegen-findungskommissions-mitglied-19306684.html)].
Das zynischen Spiel von in der eigenen Bubble positionierter antiisraelischer und antijudaischer Propaganda und anschließenden lauen Dementi kennt man aus der Laufzeit der documenta 15.
Im Resultat bleibt, daß jede und jeder, die oder der die documenta 15 besucht hat, faktisch an der Etablierung eines Milieus nun auch hier, im Land der Täter des Holocaust, und mitten unter uns, im Land der Täter von damals, wo man 'Nie wieder!' geschworen hatte, mitgewirkt hat. Globale Antisemitismen, die historisch tief im nationalsozialistischen Antisemitismus verankert sind, werden hierzulande jetzt mit spielerischer Selbstverständlichkeit als Beitrag zu einem gesellschaftsfähigen Kulturkampf vorgetragen, in den die Realität und die im Einklang mit den Tätern medial wohlplazierte Ästhetik des massenhaften Ermordens von Jüdinnen und Juden als bestialische Realisierung und innerstes Ziel dieses Kulturkampfes eingebettet ist.
Diese von der documenta 15 breitenwirksam ausmodellierte Formation zeigt sich jenseits aller Versteckspiele, in der sie während der documenta noch hinter der prinzipiellen Deutungsoffenheit von Bildern und hinter der Kunstfreiheit verschleiert wurde, nun auch ganz offen als Instrument eines global konzertierten antiisraelischen und antijudaischen Krieges. Sie übt die neu rekrutierten Kombattanten in die Beteiligung an der Gewaltverherrlichung ein und nähert sie der darin propagierten und daraus hervorgehenden Gewaltbereitschaft an. Mit ein paar Klicks durchs Web kann man sich nun in einem weiten Netz eines antiisraelischen und antijudaischen Kulturkampfes aufgehoben fühlen, der zynischerweise mal mit Antifaschismus, mal mit Antirassismus, mal sogar parteipolitisch links verbrämt wird (eine exemplarische Liste, die man unendlich ausweiten könnte, bietet etwa Jürgen Kaube: Wie der Terror legitimiert wird, in: FAZ 10. Oktober 2020 faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-hamas-ueberfaellt-israel-reaktionen-aus-deutschland-19231395.html).
Besonders hinterhältig ist sicherlich die jugendkulturell adressierte Aufbereitung des Antisemitismus im Herzen von Friday for Future u.a. durch deren bisherige Bundessprecherin Elisa Bas, die in einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr und unter Verfälschung eines Zitats dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vorwarf, hierzulande "eine Pogromstimmung gegen Palästinenser:innen" anzuheizen (Matti Hartmann: Prominente Aktivistin auf Hass-Demo. Israel-Aussagen bringen Fridays for Future in Bedrängnis, in: t-online. Nachrichten für Deutschland, 17.10.2023 t-online.de/region/berlin/id_100260942/-fridays-for-future-klimaaktivistin-schockiert-mit-israel-aussagen.html). Greta Thunberg positioniert sich in mehreren Statements und Posts israelfeindlich und posiert am 17. Oktober 2023 sogar dezidiert antisemitisch neben einer explizit plazierten Krake, die in diesem Kontext nur als das im 19. Jahrhundert etablierte Signet des antisemitischen Klischees einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung intendiert sein kann (Sarah Vine: How 'Saint Greta' has led a spiral of endless grievance, in: The Mail On Sunday, 21. Oktober 2023 dailymail.co.uk/debate/article-12657425/SARAH-VINE-Greta-Thunberg-gaza-hamas-palestine.html; eine auch in all ihrer Bitterkeit hilflose Abrechnung mit der plötzlich offen zu Tage getretenen Bigotterie dieser Moralitäts-Ikone findet sich etwa hier: twitter.com/delnoij/status/1717573882167566662). Nach weltweitem Entsetzen über diese antisemitische Provokation tauschte Thunberg das Foto in ihrem Post gegen eine Variante aus einem anderem Blickwinkel aus und erklärte, sie habe von all dem nichts gewußt twitter.com/GretaThunberg/status/1715355502337499332; vgl. etwa Sebastian Richter: Solidarität mit Palästina. Grüne wenden sich gegen Greta Thunberg – „Komplett lost“, in: Merkur, 20.10.2023 merkur.de/politik/greta-thunberg-unterstuetzt-palaestina-gruene-solidaritaet-mit-dem-schrecklichen-terror-der-hamas-92592635.html. Schon bald aber setzte Thunberg weitere israelfeindliche Posts ab, und 'Fridays for Future' verbreitete, die westlichen Medien betrieben Gehirnwäsche zugunsten Israels: "This is how western media brainwashes you into standing with Israel." Unübersehbar ist dies ein spätes Echo der nationalsozialistischen Propaganda von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung (Michael Hanfeld: Fridays for Future redet wie die Hamas, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.10.2023 faz.net/aktuell/feuilleton/medien/fridays-for-future-verbreitet-hamas-propaganda-auf-instagram-19270450.html faz.net/aktuell/feuilleton/medien/fridays-for-future-verbreitet-hamas-propaganda-auf-instagram-19270450/gehirnwaesche-die-19270446.html). Fridays for Future Germany distanzierte sich zwar, und Luisa Neubauer als deren Sprecherin erinnerte bei einer Solidaritätsdemo für Israel und gegen Antisemitismus in Berlin sogar treffend an die fortbestehende deutsche Schuld am Holocaust als Grund für eine eindeutige Positionierung an der Seite Israels. Jede Kritik an Thunberg spart aber auch sie dabei aus und versucht irgendwie um die überfällige Trennung von der unverkennbar antisemitischen internationalen Institution herumzumanövrieren (Nadja Zinsmeister: Druck auf Luisa Neubauer wächst: Warum die Zukunft von Fridays for Future in Deutschland immer unsicherer wird in: Frankfurter Rndschau, 28.10.2023, 13:02 Uhr fr.de/politik/thunberg-fridays-for-future-luisa-neubauer-druck-nahostkonflikt-positionierung-israel-greta-zr-92641977.html).
Diskreditiert haben sich mit dem öffentlichen Ausbruch eines linken Antisemitismus in den vergangenen Wochen Positionen, die jahrzehntelang moralisch normativ orientierend gewirkt haben wie "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antidiskriminierung", "Intersektionalität", "Dekolonialisierung" und "Demokratieförderung". Gerade aus diesen Fassaden einer einst politisch bewußten Humanität brach plötzlich und für Viele wohl unerwartet eine enthusiastische Huldigung für antisemitische Gewalt hervor und artikulierte sich wortreich faschistisch, rassistisch, diskriminierend, sektionalistisch, kolonialistisch und demokratiefeindlich gegen diejenigen, die man nun zur Rettung der eigenen Ideologiekonstrukte in einer Schuldumkehr der Ausrottung preisgab (ein Nachtrag vom 28.10.2023: klar analysiert hat dies etwa Beatrice Frasl: Was gesagt werden muss, in: Wiener Zeitung, 27.10.2023 wienerzeitung.at/a/beatrice-frasl-was-gesagt-werden-muss).
Erwähnt werden müssen gegen diese ernüchternde Bilanz allerdings auch die auch von Menschen aus verschiedenen politischen Kontexten organisierten Demonstrationen und frühen Erklärungen für eine unzweideutige Solidarität mit Israel. Sie artikulierten sich zwar mit leiseren und nachdenklicheren Tönen und fanden zahlenmäßig weit weniger Unterstützer als der im Gewand aktueller Modetheorien daherkommende alte Judenhaß, waren aber weit differenzierter. Einheitlich und eindrücklich war da etwa die Solidarität beim Deutschlandtag der Jungen Union (Peter Carstens, Tobias Schrörs: JU-Deutschlandtag. Solidarität mit Israel und Kritik an Scholz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.2023 faz.net/aktuell/politik/inland/friedrich-merz-bei-ju-deutschlandtag-solidaritaet-mit-israel-kritik-an-scholz-19261027.html). Aber auch aus dem linken Spektrum fanden sich schon früh manche Klarsichtige, die sich wie etwa ein Redner der Dortmunder Antifa-Gruppierungen mutig gegen eine auch im eigenen Lager verbreitete antiisraelische Schuldumkehr aussprachen (Paulina Bermúdez und Alexander Völkel: Israel-Mahnwache. Ein deutliches Zeichen der Solidarität und gegen Antisemitismus, in: Nordstadt Blogger. Nachrichten aus Dortmund, 11. Oktober 2023 (linK: https://www.nordstadtblogger.de/israel-mahnwache-ein-deutliches-zeichen-der-solidaritaet-und-gegen-antisemitismus/) oder wie die Jusos im Ruhrgebiet, die eine zwar kleine, aber ebenso mutige wie markante Gegendemonstration gegen Israelfeindlichkeit durchführten (WDR : Pro-Palästina-Demo in Duisburg endet mit Anzeigen, 10.10.2023 www1.wdr.de/nachrichten/angriff-israel-pro-palaestina-demo-in-duisburg-100.html). Eine dankenswert klare und eindrücklich argumentierende Stimme gegen die andernorts an den linken, rechten und islamistischen Rändern rasch um sich greifende Relativierung des Massakers von Simchat-Tora und die damit verbundene Täter-Opfer-Umkehr gab es früh auch von Robert Habeck [die Grünen]: twitter.com/BMWK/status/1712845052739715267 (Nachtrag vom 10. November 2023: Eine weitere treffende Stellungnahme von ihm gibt es vom 2. November 2023 twitter.com/BMWK/status/1719757619471008148; sehr anschaulich wird das von ihm Angesprochene in einem Gespräch zwischen ihm und Igor Levitt vom 9. November 2023 (linK: https://twitter.com/BMWK/status/1722539878527721628); mit Blick auf die Bedeutung von Bildung besonders bachtlich ist auch die Bundestagsrede von Cem Özdemir [die Grünen] zum 9. November 2023 bundestag.de/mediathek?videoid=7603051#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NjAzMDUx&mod=mediathek.
Wer dagegen exemplarisch in die Aktualität der Geschichte des kulturkämpferischen Abgrundes von alten und neuen linken und rechten Antijudaismen blicken will, dem gewährt diesen etwa ein Rückblick auf einen Post von Renate Künast, einer Bundestagsabgeordneten der Grünen, zum würdigenden Gedenken an den Judenhasser Dieter Kunzelmann vom 16. Mai 2018 twitter.com/RenateKuenast/status/996778246208458753. Der Happeningkünstler, linksradikale Anarchist und spätere Mitbegründer der 'Alternativen Liste Berlin', die dann in die Gründung der 'Grünen' einging, war 1969 nach Jordanien gereist, um den Kontakt zwischen dem antijüdischen Terrorismus der sg. 'Palästinenser' und dem von ihm mitbegründeten deutschen Nachkriegsterrorismus aufzubauen und so einen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin am 9. November 1969, dem Jahrestag der Novemberpogrome von 1938, vorzubereiten. Nur technischen Fehlern war es damals zu verdanken, daß dieses Attentat glücklicherweise scheiterte (zum gesamten Kontext vgl. Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005; Ders: 'Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?' München 1970. Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, Reinbek 2013; [ein Nachtrag vom 13. November 2023: Peter Laudenbach: Vom Antiimperialismus zum "globalen Süden". Ein Interview mit dem Politologen Wolfgang Kraushaar über Verwirrungen linker Theorien, in: Süddeutsche Zeitung, 15. November 2023 sueddeutsche.de/kultur/wolfgang-kraushaar-linker-antisemitismus-1.6303201]).
In einer absurden Täter-Opferverkehrung wollten bei diesem Anschlag deutsche Nachfahren von Nationalsozialisten 250 Jüdinnen und Juden ermorden, die den Holocaust überlebt hatten, um so angeblich den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Ziel war es, so die unmittelbaren Nachfahren gerade der islamistischen 'Palästinenser' im Kampf gegen den 'Zionismus' zu unterstützen, die diese angeblich als Fortsetzung des Kampfs gegen das Dritte Reich führten (vgl. etwa Ronen Steinke: Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt, 2. Aufl. Berlin/ München 2020, S. 68), obwohl ihre Ideologie doch tatsächlich aus Bündnissen mit dem Nationalsozialsmus erwachsen war.
Verschleiert wird in dieser absurden Konstruktion schon damals, daß etwa der Mufti von Jerusalem, der verschwörungstheoretische Antizionist, antijudaische Terrorist und nationalsozialistische Propagandist, Mohammed Amin al-Husseini, sich als Vertreter des transnationalen Islam ab 1933 dem Nationalsozialismus und Faschismus verschrieben, ab 1937 in einem antijudaischen Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland gekämpft, in einer persönlichen Begegnung mit Hitler 1941 die Kooperation bei der Auslöschung der Juden bekräftigt, als SS-Gruppenführer den von ihm ausgerufenen islamischen Dschihad in die SS integriert und alle Araber zum Völkermord an den Juden als vermeintlich gottgefälliger Tat aufgerufen hatte (so etwa in einer Radioansprache am 4. März 1944: "Araber! Erhebt Euch wie ein Mann und kämpft für Eure heiligen Rechte. Tötet die Juden, wo immer Ihr sie findet. Das gefällt Gott, der Geschichte und der Religion. Es dient Eurer Ehre. Gott ist mit Euch." Jeffrey Herf: Hitlers Dschihad. Nationalsozialistische Rundfunkpropaganda für Nordafrika und den Nahen Osten, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 58, 2010, S. 259-286, hier S. 284 ifz-muenchen.de/heftarchiv/2010_2_5_herf.pdf). Auf al-Husseini berief sich dann nicht nur der Mitbegründer der palästinensischen Fatah, der von einem Nationalsozialisten ausgebildete palästinensische Terrorist Jassir Arafat (vgl. etwa David Motadel: Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017), dem sich dann ja auch Kunzelmann und seine Umgebung anschlossen. Seit der Gründung der Hamas gelten al-Husseini und sein Mitverbrecher, der Judenhasser Izz ad-Din al-Qassam, vielmehr auch dort als leitendes Vorbild (zu dem gesamten Komplex ausführlich Jeffrey Herf: Nazi propaganda for the Arab world, New Haven, Conn. u.a. 2009; eine Übersicht gibt Ders.: Sie machen den Hass zum Weltbild, in: FAZ, 20.10.2023 faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-die-hamas-den-hass-und-antisemitismus-zum-weltbild-macht-19254740.html.
Ausgeblendet wird im gesamten islamistischen wie in dem daran angebundenen 'linken' Antijuaismus und Antiisraelismus, daß die Autonomie- und Siedlungsgeschichte von Juden in Israel (dem Landstrich, den die Römer und nachfolgende Herrscher despektierlich 'Palaestina' nannten) weit vor die Zeit zurückreicht, auf die sich die Nachfolger al-Quassams, al-Husseinis und Arafats, der Konstrukteure eines vom politischen Islam bestimmten 'palästinensischen Volkes', bis heute berufen.
Immer noch hoffe ich, daß meine Lehre zur Bebachtung von Phänomenen, zur Analyse von Intentionen von Bildern sowie zur Interpretation der damit symptomatisch verbundenen und durch sie mitkonstituierten politischen Realitäten den bei mir Studierenden hilft, durch kritisch ästhetische Aufklärung (Ästhetik dabei verstanden als die Fähigkeit, ein Bild und das in ihm Repräsentierte und durch es Prozedierte systematisch zu unterscheiden) frühzeitig zu erkennen, was Sache ist, und sich durch historische Reflexion in solche Kalküle nicht vereinnahmen zu lassen sowie diese Fähigkeit später in der ästhetischen Mündigkeitsbildung ihren Schülerinnen und Schüler weiterzugeben.

  1. Oktober 2023, zuletzt aktualisiert am 22. Oktober 2023 Ulrich Heinen

    Verleumdung als Coronafolge - Klarstellung in eigener Sache
    Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen.
    Dem Vernehmen nach ist in sozialen Netzwerken im Umlauf, ich sei möglicherweise "Coronaleugner", Anhänger der sog. "Querdenkerbewegung", "Verschwörungstheoretiker", "Impfgegner" o.ä.
    Daher stelle ich hier gerne auch öffentlich klar, was diejenigen, die mit mir unmittelbar zu tun haben, ohnehin wissen: Das Gegenteil ist der Fall!
    Seit Anfang der Pandemie halte ich - auch vor dem Hintergrund meines naturwissenschaftlichen Studiums - harte Anti-Coronamaßnahmen persönlich für einzig sachgerecht. In weiten Teilen hätte ich sie mir sogar noch weit deutlicher gewünscht und erwarte, daß sie sich in den kommenden Monaten - notgedrungen - auch noch dorthin werden entwickeln müssen. Dies habe ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Privaten wie gelegentlich auch am Rande meiner beruflichen Tätigkeit immer eindeutig vertreten. Aus gegebenem Anlaß spreche ich es hier gerne auch öffentlich aus. Im Sinne meines kritisch-rationalistischen Verständnisses naturwissenschaftlichen Wissens bin ich mir dabei aber stets auch dessen bewußt, daß sich meine Einschätzung der Sache später möglicherweise als falsch erweisen kann.
    Um nicht nur diejenigen zu erreichen, die ohnehin mit mir und der Mehrheit im Lande derselben Ansicht sind, habe ich zuletzt auch einen Kontext gewählt, in dem die Anti-Corona-Maßnahmen ansonsten eher in Frage stehen. Im kunst- und kulturhistorischen Zusammenhang der Entstehung von zivilgesellschaftlichem Denken um 1600 habe ich dort ein Grundprinzip von Zivilgesellschaft und Demokratie betont: Deren Grundlage ist zunächst der gegenseitige Respekt vor unterschiedlichen Einschätzungen der Sache, auch wenn man diese Einschätzungen möglicherweise selbst nicht nachvollziehen kann oder mag (in den Worten meines - dabei einen Gedanken Hannah Arendts ausführenden - akademischen Lehrers Ernst Vollrath in 'Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft': "Das politische Urteil geschieht in Ansinnung von Zustimmungsbereitschaft"). Daraus leitet sich dann ab, daß in Ausnahmesituationen - wie etwa in dieser Pandemie - ein notwendiges gemeinsames Handeln gerade wegen des gegenseitigen demokratischen Respekts auch denen zumutbar ist, die selbst eine andere Einschätzung der Sache und dessen haben, was zu tun ist. Die Gelegenheit, meinen grundsätzlichen demokratischen Respekt auch vor Einschätzungen, die ich selbst nicht teile, mit einem Eintreten für einen ebensolchen Respekt aller am Gemeinswesen Beteiligten vor einer Befürwortung der Anti-Coronamaßnahmen zu verbinden und dabei die allgemeine Zumutbarkeit gemeinsamen Handelns zu betonen, wollte ich nicht ungenutzt lassen. Eingebunden war das in eine kulturhistorische Skizze der neustoischen Erkenntnislehre und ihrer Bedeutung für Krisenbewältigung und protoaufklärerisches Denken und Handeln um 1600 in Kunst, Ethik, Naturwissenschaften und Politik. Ich sehe dies auch als Beitrag dazu, den für Demokratie und Zivilgesellschaft wie auch für die Bewältigung der Pandemie existentiellen Zusammenhalt der Gesellschaft gerade unter dem Druck der Pandemie aufrechtzuerhalten.
    Zu meiner persönlichen Einschätzung der sachlichen Notwendigkeit und Angemessenheit von Anti-Coronamaßnahmen wie Lockdowns und ggf. auch Impfpflicht gehört in diesem Sinne auch, daß ich die Lasten, die solche notwendigen Maßnahmen zwangsläufig mit sich bringen, sowie deren asymmetrische Verteilung nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf und Lebensverhältnissen nicht übersehe. Daß dies gerade auch Befürworter der Anti-Coronamaßnahmen benennen sollten und zur Linderung solcher Folgen beitragen sollten (was leider kaum der Fall ist), wäre nicht nur meiner Überzeugung nach auch Teil einer effektiven Bekämpfung der Pandemie. Wo ich hierzu etwas tun kann, versuche ich auch dies.
    Die jahrtausendealte Kunst-, Sozial- und Kulturgeschichte der gesellschaftlichen Wirkung von Seuchen zeigt, daß sich eine langanhaltende bedrohliche Belastung durch Epidemien Ventile sucht. Folge sind dann erfahrungsgemäß auf allen Seiten Orientierungslosigkeit, allerlei Verschwörungstheorien, irrationale Immunitäts-, und Erlösungserwartungen und gelegentlich bis ins Berufliche und Persönliche übergreifende Gerüchte und Schuldzuweisungen. Alles kann dann zum Indiz umgedeutet werden, um den eigenen Weg der streßsenkenden Komplexitätsreduktion zu bestätigen. Insofern weiß ich auch das offensichtlich gegen meine Person in Umlauf befindliche Gerücht durchaus als Ausdruck echter Sorgen und Nöte einzuschätzen. Gegen diesen Mechanismus hat aber immer schon nur schonungslose Nüchternheit im Blick auf die Sache selbst geholfen, hier also auf den Charakter der Pandemie und auf die Einsicht, ihr nur durch gemeinsames Handeln und Konzentration auf mehrheitlich als erforderlich geltende Maßnahmen sowie auf Humanität und Demokratie als gemeinsame Leitprinzipien effektiv begegnen zu können.
    Sollte nach dieser Erklärung weiterhin Unklarheit über meine Haltung bestehen oder im Umlauf sein, kann ich dies gerne noch weitergehend erläutern. Ungeklärte Gerüchte und ein Reden über statt mit jemandem erschweren letztlich die gemeinsame Konzentration auf die Pandemiebekämpfung und auf sinnvolle Begleitmaßnahmen zur Linderung der Folgen.

Ihnen allen nun erst einmal ein Frohes Weihnachtsfest und ein gesegnetes Neues Jahr voll Gesundheit und Glück.

Köln, 18. Dezember 2021 Ulrich Heinen